Unternehmensstrafrecht und Haftungsfragen für Kollegen

Als „Unternehmensstrafrecht“ kann hier lediglich ein Randbereich dessen angesprochen werden, was unter diesem Titel eigentlich zu erwarten wäre. Eine gegen ein Unternehmen selbst zu verhängende Strafe kennt das deutsche Strafrecht (bislang) nicht. Sie würde voraussetzen, dass bei dem Unternehmen als rechtlicher Einheit selbst eine schuldhafte Verantwortung festzustellen war. Der Gesetzgeber hat von einer derartigen, unter Juristen kontrovers diskutierten Erweiterung des strafrechtlichen Instrumentariums (wie man sie insbesondere aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis kennt) bislang abgesehen.

Dennoch gehört zur anwaltlichen Praxis durchaus auch der Aufgabenbereich des Unternehmens-Verteidigers. Dieser wird im Rahmen eines laufenden oder auch drohenden Strafverfahrens (ggf. neben einem oder auch mehreren Individualverteidigern) ausschließlich zum Schutz des Unternehmens tätig. Der Individualverteidiger muss diesen selbständigen, mit seiner eigenen Tätigkeit nicht immer vereinbaren Aspekt immer im Blick haben. Ein Risiko liegt hier also vor allem im Übersehen dieser neben der Individualverteidigung gesondert gestellten Aufgaben von „Unternehmensverteidigung“ bzw. im Verkennen des gegenüber der Individualverteidigung bestehenden Interessenwiderstreits.

Von diesem speziellen strafrechtlichen Aufgabenbereich zu unterscheiden ist eine schon vorbeugende Compliance zur Vermeidung von Rechtsverstößen durch Mitarbeiter bzw. die Führung eines Unternehmens und damit zugleich von den noch anzusprechenden Sanktionen gegenüber dem Unternehmen selbst. Soweit der Rechtsanwalt das Unternehmen in dieser Hinsicht berät, verlässt er möglicherweise den gegen Beschlagnahme umfassend geschützten Bereich der Strafverteidigung. Risiken bestehen insbesondere hinsichtlich einer Beschlagnahme von Compliance-Unterlagen, die dem beratenen Unternehmen ausgehändigt wurden.

Ein Bekanntwerden von Compliance-Ratschlägen kann sich naturgemäß sowohl auf die Verteidigung von Beschuldigten wie auf die Unternehmensverteidigung nachteilig auswirken; insbesondere dann, wenn nach Kenntnisnahme von dem entsprechenden anwaltlichen Rat das aus Sicht der Ermittlungsbehörden inkriminierte Verhalten fortgesetzt wird. Dies gilt allerdings nicht nur für die vorbeugende Compliance, sondern auch für eine unternehmensbezogene Beratung und Verteidigung in einem bereits laufenden Ermittlungsverfahren.

Die Unternehmensverteidigung beginnt mit dem Drohen oder der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen (Durchsuchung, Sicherstellung, Beschlagnahme). Hier geht es aus Unternehmenssicht nicht nur um die Wahrung der Interessen von beschuldigten oder verdächtigen Mitarbeitern, sondern auch um den effektiven Schutz von betrieblichen Daten und Geschäftsgeheimnissen. Der drohende Schaden kann durch frühzeitige Kommunikation des Unternehmensanwalts mit den  Ermittlungsbehörden möglicherweise begrenzt, insbesondere Zwangsmaßnahmen wie eine Durchsuchung und die sich damit unter Umständen verbindende Öffentlichkeitswirkung vermieden werden.

Es muss aber auch rechtzeitig darauf geachtet werden, ob Geldbußen oder Verfallsanordnungen drohen, gegen die es vorbeugend tätig zu werden gilt. Geldbuße und Verfall sind die Sanktionen, die (wenn auch nicht im strengen Sinn von Strafe) das deutsche Unternehmensstrafrecht ausmachen. Sie können das Unternehmen als solches schwer treffen; beide dienen (auch) der sogenannten Vermögensabschöpfung und sollen nicht nur dem Täter, sondern auch Dritten, für die er gehandelt hat, den durch das ordnungswidrige bzw. strafbare Handeln erzielten Vorteil nehmen. Sowohl Geldbuße als auch Verfall können nicht nur gegen den Täter, sondern auch gegen den das von ihm vertretene Unternehmen verhängt werden. Die Geldbuße darf in der Regel den erzielten Vorteil nicht unterschreiten. Der Verfall wird anstelle einer Geldbuße (§ 29a Abs. 1 OWiG) oder gegen das Unternehmen auch neben einer gegen individuell Verantwortliche verhängten Geldbuße (§§ 29a Abs. 2, 30 Abs. 5 OWiG) angeordnet. Wegen einer Straftat kann der Verfall sowohl neben einer verhängten Strafe als auch als selbständige Sanktion (§ 440 StPO) angeordnet werden.

Im Hinblick auf einen möglichen Verfall (§§ 73 StGB, 29a OWiG) ist gegebenenfalls schon in einer frühen Phase der Ermittlungen mit der Ausbringung eines dinglichen Arrestes (§ 111d StPO) zu rechnen. Dieser betrifft im Umfang des Erlangten (dazu noch später) als Wertersatz-Verfall (§§ 73a StGB, 29a Abs. 1 OWiG) das gesamte Betriebsvermögen. Eine überraschende Arrestierung kann durchaus die Weiterführung der Geschäfte in Frage stellen; hier gilt es zumindest, unternehmensintern vorbeugende Maßnahmen vorzusehen. Gegenüber Ermittlungsbehörden und Gerichten muss der Rechtsanwalt gegebenenfalls frühzeitig darauf achten, dass das Unternehmen als Verfallsbeteiligter Einfluss auf die Ermittlungen nehmen kann. Er kann die Anordnung der Verfallsbeteiligung durch das Gericht (§§ 431, 424 StPO, 87 Abs. 1 OWiG) beantragen. Dringt er hiermit nicht durch, wird er sich dennoch jedenfalls um Akteneinsicht bemühen.

Neben der Frage straf‑ oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Verantwortung, an die eine Verfalls- bzw. Arrestanordnung anknüpfen muss, stellen sich Fragen zum Verfallsumfang. Dessen Grundlagen sind außerordentlich unklar. Hier kommt es zunächst darauf an, die Bestimmung des erlangten „Etwas“ von der gesetzlichen Verankerung des sogenannten Bruttoprinzips zu trennen und gegenüber den Ermittlungsbehörden und Gerichten den Gegenstand des Verfalls entsprechend einzuschränken. Ein anderer Verteidigungsansatz ergibt sich aus der bei der bei der Bemessung des Verfalls erforderlichen Ermessensbetätigung (im StGB näher geregelt in der sog. Härteklausel des § 73c). Hierbei ist u.a. die Leistungsfähigkeit des Unternehmens maßgeblich. Allerdings ist auch zu beachten, dass bei einem anwaltlichen Drängen auf eine genauere Betrachtung dieses Punkts möglicherweise hohe Kosten eines vom Gericht bestellten Gutachters anfallen können.

Die mit einem Arrest bei entsprechender Anordnung zugleich im Sinne der sogenannten Rückgewinnungshilfe mögliche Sicherung von Ansprüchen Verletzter muss der Unternehmensverteidiger ebenfalls im Blick behalten. So wird er etwa darauf hinwirken, dass vorrangig solche Ansprüche gegen das Unternehmen, die zivilrechtlich aussichtsreich sind und erwartbar verfolgt werden, aus dem arrestierten Geldbetrag befriedigt werden, um den zusätzlichen wirtschaftlichen Schaden möglichst gering zu halten. Dafür in Betracht kommende Gläubiger wird der Unternehmensverteidiger möglicherweise vom Verfallsausspruch in Kenntnis setzen und sie damit zur Befriedigung ihrer Forderung (aufgrund eines vorliegenden oder herzustellenden Titels) veranlassen. Im Umfang einer solchen Befriedigung kann ein Verfall nicht angeordnet werden (§§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, 111i Abs. 2 StPO).

Auch unabhängig von Anordnungen zur Rückgewinnungshilfe gilt es natürlich, im Zusammenhang mit strafbarem Verhalten sich ergebende Ersatz‑ oder Rückgewähransprüche Dritter (etwa Sozialversicherungsträger im Fall des § 266a StGB) vom Unternehmen fernzuhalten. Auch wenn ein Strafurteil die nachfolgenden zivil‑ oder sozialrechtlichen Auseinandersetzungen nicht präjudiziert, werden deren Chancen zumindest durch das in einem Ermittlungsverfahren zu Tage geförderte Beweismaterial maßgeblich beeinflusst. Mittelbar oder unmittelbar drohen also durch unrichtige oder unvorsichtige anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Verteidigung von Unternehmen (und deren Mitarbeitern) erhebliche wirtschaftliche Schäden.

Künftig könnte daneben auch noch die nachteilige Wirkung einer Eintragung des Unternehmens bei einer Verurteilung von leitenden Mitarbeitern wegen bestimmter einschlägiger Katalogtaten in ein noch zu schaffendes „Wettbewerbsregister“ zu beachten sein. Ein Referentenentwurf der Bundesregierung (der u.a. eine mehrjährige Sperre des Unternehmens für öffentliche Ausschreibungen vorsieht) liegt bereits vor.

Bereits heute hat jede Verurteilung u.a. wegen vorsätzlichen Insolvenzstraftaten sowie eine Verurteilung wegen Betruges oder wegen Vorenthaltens bzw. Veruntreuens von Arbeitsentgelt zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr die sogenannte Inhabilität als Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstand einer Aktiengesellschaft über einen Zeitraum von fünf Jahren zur Folge (§§ 6 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, 76 Abs. 3 Satz 2 AktG). Auch diese das Unternehmen immerhin mittelbar betreffende Rechtsfolge gilt es im Blick zu haben.

 

Dr. Wolf Molkentin
Rechtsanwalt
Kanzlei Gubitz+Partner